von Eckhard Becker
BSHRP Bergungsteam profitiert gleich doppelt vom ENOS®-System
Rügen – Gigantisches Geisternetz im Urlaubsparadies
Sassnitz/Bergneustadt: Das Baltic Sea Heritage Rescue Project (BSHRP) ist harte Bedingungen gewöhnt. Das Team um Sabine Kerkau hat sich der Aufgabe verschrieben, die Unterwasserwelt der Ostsee von gefährlichen Geisternetzen zu befreien, die von der Berufsfischerei verloren gingen und seitdem unkontrolliert im Meer bleiben – wo sie großes Unheil anrichten.
Gefahr für Flora, Fauna und Menschen
Treibend stellen die Netze eine große Gefahr für die Schifffahrt dar: Geraten sie in die Schraube, ist der Frachter manövrierunfähig und dümpelt steuerlos in der stark befahrenen Ostsee, was große Auswirkungen auf den gesamten umliegenden Verkehr hat. Aber auch wenn die Netze absinken, richten sie großen Schaden an: Oft bleiben sie an Wracks hängen, die sie somit zerstören und mit ihnen die gesamte Flora und Fauna, die das Wrack inzwischen besiedelt hat und aus ihm ein neues Riff entstehen ließ; die Lebensgrundlage für viele weitere Fische und Pflanzen. Gleichzeitig verfangen sich Fische, Robben, Wale und Tümmler in den Maschen und verenden elendig. Dem nicht genug, setzen die Netze permanent Mikroplastik und giftige Schwermetalle frei, was über die Nahrungskette bis in den Menschen dringt.
Genügend Gründe, warum Geisternetze unbedingt aus den Meeren entfernt werden müssen.
Extreme Tauchgangs-Bedingungen
Die Bergung ist jedes Mal eine große Herausforderung, weil die Tauchgänge in großen Tiefen stattfinden, die nur erfahrenen Tech-Tauchern vorbehalten sind. Im kalten dunklen Wasser, nicht selten bei starken Strömungen und schlechter Sicht, muss zunächst eruiert werden, wie das Geisternetz am gefahrlosesten zu entfernen ist. Die Netze sind sehr schwer und stehen oft unter hoher Spannung, weswegen sie nicht einfach abgeschnitten werden können. Im Laufe der Jahre haben die engagierten Taucher vom BSHRP die Ostsee mittlerweile von mehreren hundert Netzen befreit. Und damit Tonnen von Sondermüll aus dem Meer geholt, weil die modernen Netze heutzutage aus Kunststoff, Blei und Arsen bestehen, was nur in speziellen Anlagen sehr kostenintensiv entsorgt werden kann.
Gigantisches Geisternetz stellt gigantische Herausforderung
Die Taucher vom BSHRP sind wahrlich routinierte Taucher, die schon viele große Netze geborgen haben. Doch das „Monsternetz“ vor Rügen bedeutet auch für sie eine immense Herausforderung. Es handelt sich um ein Heringsschleppnetz, das 2019 ein Fischtrawler verloren hat. Trotz der Positionsangabe stellte sich schon die Suche als schwierig dar, weil klassische nautische Instrumente wie Fishfinder oder Echolot dafür nicht geeignet sind. In enger Zusammenarbeit mit Wolfgang Frank, dem Inhaber einer Tauchbasis auf Rügen, wurde das entsprechende Seegebiet penibel abgefahren und mit Suchtauchgängen systematisch erforscht. Schließlich wurden sie fündig, nach langer Zeit und zahlreichen Tauchgängen.
Über 100 Meter lang und mehrere Tonnen schwer
Der Erleichterung, das Netz endlich gefunden zu haben, folgte schnell die Ernüchterung. Denn es übertraf alles, was man bisher gesehen und geborgen hatte! Dabei hat das Team das Netz noch nicht mal umfassend begutachten können, weil es sich in über 40 Meter Tiefe befindet, wo die Sichtweite gerade mal fünf Meter beträgt.
Sabine Kerkau konstatiert: „Es ist das größte Netz, das ich jemals erblickt habe! Dabei habe ich es bis jetzt noch gar nicht ganz gesehen. Wir vermuten, dass es um die 100 Meter lang und 50 Meter breit ist. Es hängt an einem „Objekt“, von dem wir auch noch nicht sagen können, worum es sich dabei handelt, weil es komplett vom Netz umwickelt ist. Das Netz ist sehr schwer, da es aus sehr dicken
Kunststoffseilen gefertigt und zusätzlich noch mit schweren Metallketten umrandet ist. Deswegen wissen wir auch noch nicht, wieviel im Sand eingesunken ist und wie groß die Fläche insgesamt ist, auf der das Netz den Meeresboden bedeckt und das dortige Ökosystem zerstört. Aber die Probleme gehen noch weiter: Das Netz liegt teilweise in großen Knäulen auf dem Grund, die bis zu mehrere Meter hoch sind. Unmöglich, zum jetzigen Zeitpunkt präzise Aussagen zum Umfang zu machen. Nur eines wissen wir jetzt schon mit Sicherheit: Das wird eine sehr schwere und sehr harte Arbeit, dieses „Monster“ in Stücke zu schneiden, um es peu à peu aus dem Wasser zu holen.“
Sorgfältige Vorbereitungen für die Bergung im Herbst
Dass ein solch gigantisches Netz nicht „mal eben“ aus dem Wasser geholt werden kann, leuchtet ein. Diese Aktion muss professionell über den zu erwartenden Zeitaufwand geplant sein, mit genügend Bergungstauchern und einer ausreichenden Anzahl an Kuttern, die die Netzteile an Land bringen. Das ist zeitaufwändig, weswegen die vollständige Bergung des „Monsternetzes“ für Herbst 2024 vorgesehen ist.
Ein weiteres Problem: die Finanzierung
Das riesige Netz ruft aber noch ein weiteres Problem hervor, nämlich riesige Kosten. Dabei arbeiten die Taucher vom BSHRP schon unentgeltlich und nutzen ihre eigene Tauchausrüstung. Auch alle anderen Kosten tragen sie selber, wie die spezielle Atemgasmischung, die sie für die tiefen Tauchgänge benötigen als auch ihre gesamten Reise-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten. Lediglich die Miete der Boote und der Treibstoff für die privaten Schiffe, die von engagierten Skippern kostenlos zur Verfügung gestellt werden, muss das BSHRP bezahlen; was aber direkt mit mehreren tausend Euro zu Buche schlägt. Und wenn es ganz schlimm kommt, muss die Umweltorganisation auch noch die überaus hohen Entsorgungskosten tragen.
„Das Rügener Netz wird richtig teuer,“ seufzt Kerkau: „Ein Kutter kostet bis zu 2000 Euro am Tag. Und bei der Größe kommen wir mit einem Boot nicht hin, da müssen mehrere ran, weil das richtig viel Müll ist – und zwar ausschließlich giftiger Sondermüll!“ Sie schätzt, dass die gesamte Bergung fünf bis sechs Tage dauern wird, mit der entsprechenden Zahl an Tauchgängen.
Doppelte Hilfe vom ENOS®-System
Einen Teil dieser Kosten deckt die Spende von der Firma Seareq International GmbH, deren ENOS®-System, das elektronische Ortungssystem für verlorene Taucher, dieses Jahr auf der Messe „boot“ als bestes Produkt in der Kategorie „Technik“ den „boot Dive Award“ gewonnen hat. Schon vor der Verleihung stand für Geschäftsführer Dirk Göldner fest, dass er das Preisgeld von 3000 Euro an das BSHRP spenden wird: „Die Arbeit vom BSHRP findet unter Wasser statt und bleibt quasi völlig unbemerkt – dabei ist sie so immens wichtig!“ Weiter fügt er hinzu: „Das BSHRP nutzt ja nun schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich unser ENOS®-System, nicht nur für die eigenen Taucher, sondern auch für die Bergung der Netze. Dazu werden ENOS®-Sender an die Hebeballons befestigt und dank dem Signal kann der Kapitän die an der Wasseroberfläche direkt orten. Denn je nach Stärke der Dünung werden die Netze nicht gesehen und drohen in die Schifffahrtsrinne zu treiben. Wir sind stolz darauf, dass wir das Team nun doppelt unterstützen.“
Dem stimmt Kerkau zu: „Wir sind Seareq International unheimlich dankbar für diese Spende, die hilft uns spürbar. Und wir haben uns riesig gefreut, dass ENOS® den „boot Dive AWARD“ gewonnen hat. Und wirklich nicht, weil wir ja auch finanziell davon profitierten“, beteuert sie lachend, sondern, weil er verdient ist! Wir wissen schon lange, wie zuverlässig ENOS® arbeitet.“ Und das wird im Herbst vor Rügen auch wieder so sein. ...
Fortsetzung folgt, über die Bergung des Monsternetzes